D a s L i b e r a l e T a g e b u c h |
Sammlung
Originaldokumente aus Das Liberale Tagebuch, (http://www.dr-trier.de) |
Interview des DLF,
24.7.2003, 06:50
Burkhard Hirsch,
FDP-Politiker und ehemaliger Innenminister NRW Müller: Niemand kennt - zu diesem Zeitpunkt
jedenfalls - die geplante Ausstellung genau. Sie soll frühestens im Herbst
2004 zu sehen sein. Selbst die Macher vom Berliner Ausstellungshaus
"Kunstwerke" sind angesichts des komplexen Themas nach eigenem
Bekunden noch weit von einem schlüssigen Konzept entfernt. Doch die Reizworte
Rote Armee Fraktion, RAF, genügen, um einen öffentlichen Sturm der Entrüstung
zu entfachen. Die geplante Auseinandersetzung mit der Terrororganisation im
Spiegel der Popkunst und der Medien zeigt, dass die RAF auch fünf Jahre nach
ihrer Selbstauflösung noch immer ein Tabuthema in der Bundesrepublik ist.
Darüber reden wollen wir nun mit FDP-Politiker Burkhard Hirsch, in der heißen
Phase des RAF-Terrors Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen,
Herr Hirsch. Hirsch: Schönen guten Morgen. Müller: Herr Hirsch, zahlreiche Politiker, Kollegen von
Ihnen haben sich empört geäußert über die Pläne, die da bekannt geworden
sind. Der Hamburger Mäzen Jan-Philip Reemtsma distanziert sich inzwischen von
diesem Projekt. In einem ersten Konzept der Macher heißt es, es geht um die
Suche nach den Ideen der RAF, die ihren Wert behalten haben. Können Sie die
Empörung, die Aufregung nachvollziehen? Hirsch: Erst einmal hat mich außerordentlich
gewundert, dass die Planer dieser Ausstellung offenbar eine Zusage von
100.000 Euro bekommen haben, bevor klar ist, was sie eigentlich ausstellen
wollen. So habe ich mir die Verwendung meiner Steuergelder nicht vorgestellt.
Das muss ich ehrlich sagen. Müller: 100.000 Euro aus dem Hauptstadt-Kulturfonds? Hirsch: Ja, das ist doch etwas. Das ist doch viel
Geld. Das finde ich ganz erstaunlich, denn man muss ja ein Problem sehen: Die
RAF war ein ganz außerordentlicher, diese Gesellschaft wirklich
erschütternder Vorgang. Insofern ist eine Erinnerung daran, was damals
eigentlich passiert ist, schon ein Grund. Aber die Gefahr besteht darin, dass
die Täter, die ja Verbrechen begangen haben, romantisiert oder idealisiert
werden in einer Weise, die nicht akzeptabel ist. Das ist das eigentliche
Problem: Wessen wird dort eigentlich gedacht? Das Faszinierende an der RAF
war ja, dass es ursprünglich Leute waren, die hoch idealisiert waren. Sie
wurden zu einer Mörder- und Verbrecherbande für kaum erkennbare politische
Ziele. Was sie bewirkt haben - auch das muss man ja sehen - ist nicht nur die
Tötung vieler Menschen, bekannter Leute, sondern sie haben eine Wende weg von
einem liberalen Rechtsstaat eingeleitet. Seit damals gibt es ja eine nahezu
dramatische innenpolitische Aufrüstung des Staates mit vielen Gesetzen, bei
denen man bezweifeln kann, ob sie heute noch angemessen sind. Die Wirkung muss
man sehen und nicht nur die Personen, um die es damals ging. Müller: Herr Hirsch, wenn ich Sie mal unterbrechen
darf. Sie haben auch vom Wort Faszinosum, also faszinierend, gesprochen. Eine
Ausstellung darüber, eine Dokumentation, wie immer sie jetzt auch angelegt
ist, ist durchaus auch eine sinnvolle Sache. Hirsch: Es ist sicherlich angebracht, zu beleuchten
oder darzustellen, was damals eigentlich passiert ist. Die Gesellschaft war
ja wirklich in ihren Grundfesten erschüttert. Es war zum ersten Mal, dass
Leute aus ihr selbst heraus ihre Ziele, ihre Vorstellungen in Frage gestellt
haben, in die Illegalität abgetaucht sind und wirklich wüste Verbrechen
begangen haben, von denen nur ein Teil aufgeklärt worden ist. Man muss nicht
nur an die Täter, sondern mit großem Bedauern an die vielen Opfer denken, die
diesen Verbrechern zum Opfer gefallen sind. Wessen will man gedenken? Diese
Frage muss im Vordergrund stehen. Will man der Verbrecher gedenken? Will man
der Opfer gedenken, oder will man die Frage stellen, wie diese Leute
eigentlich zu ihren Taten gekommen sind und was sie wirklich bewirkt haben. Müller: Herr Hirsch, viele Historiker, Experten
schreiben ja, die RAF und ihre Taten hat die bundesdeutsche Gesellschaft
nachhaltig verändert. Wissen Sie, in welche Richtung? Hirsch: Natürlich ist die Gesellschaft verändert
worden. Es hat eine ganze Reihe von innenpolitischen Gesetzen gegeben, die
eine Abkehr von der Vorstellung von einem liberalen, toleranten Staat bewirkt
haben. Die RAF hat also in meinen Augen nicht viel Gutes bewirkt. Heinz Kühn
hat mal gesagt, sie waren die "apokalyptischen Reiter der
Reaktion". Sie haben also nicht zu mehr Freiheit in dieser Gesellschaft
geführt, sondern zu mehr Überwachung, zu mehr Beobachtung, zu mehr staatlicher
Macht. Alles Dinge, die nicht das waren, weswegen wir eigentlich in die
Politik gegangen sind. Das ist das eine. Auf der anderen Seite hat die RAF zu
einer Erschütterung des bis dahin ungebrochenen Selbstbewusstseins einer
Gesellschaft geführt, die erstarrt war. Es hat mehr Nachdenken über soziale
Probleme gegeben, über die Probleme einer Wettbewerbsgesellschaft, über die
Frage, wieso eigentlich intelligente Leute mit Idealen zu einer
Verbrecherbande geworden sind. Darüber hat man weit mehr nachgedacht als
vorher. Insofern ist diese Gesellschaft verändert worden, aber nach beiden
Seiten hin, nicht nur in einer positiven Weise. Überhaupt nicht. Müller: Herr Hirsch, letzte Frage: Warum gibt es
diese Mythologisierung der Täter und nicht der Opfer? Hirsch: Mich hat schon immer die Bezeichnung von dem
deutschen Herz gestört. Da spielt so etwas Mitleid mit oder der Versuch, das
eigene Unbehagen an der damaligen sehr autokratisch geprägten und unbeweglich
gewordenen Sozialstruktur in diese Täter hinein zu projizieren und sie sozusagen
zu extremen Vorreitern eigener Vorstellungen zu machen. Wenn man sich das
aber ansieht, ist das falsch. Das, was die Rote Armee Fraktion an eigenen
politischen Zielen niedergelegt und -geschrieben hat, war im Wesentlichen
wirr und unverständlich. Müller: Der FDP-Politiker Burkhard Hirsch war das.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hirsch, und auf Wiederhören nach
Düsseldorf. Hirsch: Bitte schön. Wiederhören. © 2003 Deutschland Radio |