D a s   L i b e r a l e   T a g e b u c h

Sammlung Originaldokumente aus „Das Liberale Tagebuch“, http://www.dr-trier.de

 

 

 

 

 

Eine gute Wirtschaftspolitik ist die Basis jeder sozialen Gerechtigkeit

 

 

WirtschaftsWoche: Herr Westerwelle, wenn Sie eine Bilanz des CDU-Richtungsstreits bis zum Parteitag ziehen – wie weit hat sich die Union als möglicher Koalitionspartner der FDP entzogen?

 

Westerwelle: Dieser Parteitag hat keine inhaltlichen Ergebnisse außer einem Sowohl-als-auch erbracht. Die Union ist im Spagat zwischen marktwirtschaftlicher Erneuerung und linken Umverteilungsreflexen. Entschieden ist allerdings die Machtfrage – Angela Merkel ist die Nummer eins. Die CDU weiß, dass sie Angela Merkel folgen will, aber sie weiß nicht in welche Richtung. Damit wird für uns die Union als möglicher Partner weniger berechenbar.

 

WirtschaftsWoche: Aber liegt die CDU nicht taktisch richtig, wenn sie Wähler links von der Mitte anspricht, um damit genügend Stimmen für eine schwarz-gelbe Koalition mitzubringen?

 

Westerwelle: Genau dies tut doch die Union mit keinem Erfolg. Sie betreibt sozialdemokratische Politik und ist im Stimmungstief. Die CDU hat einen strategischen Fehler gemacht – sie meint, sie hätte die Wahl 2005 wegen eines zu klaren marktwirtschaftlichen Reformkurses verloren. Das ist die eigentliche Lebenslüge. Denn verloren hat die Union wegen der Störmanöver aus Bayern und der Widersprüche nach der Berufung von Professor Kirchhoff. Altkanzler Gerhard Schröder hat doch schön beschrieben, wie ihm das Chaos in der Union Gelegenheit zum Comeback bot.

 

WirtschaftsWoche: Einspruch: Ausgerechnet der Protagonist der Links-Orientierung der CDU, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, liegt in seinem Land zehn Prozentpunkte vor dem Trend der Bundes-CDU.

 

Westerwelle: Sie werden überrascht sein, aber ich schätze Jürgen Rüttgers, der sich keinen Zentimeter von dem mit der FDP vereinbarten Reformprogramm verabschiedet hat. Er ist deshalb so stark in einer Koalition mit den Liberalen, weil er von dem Ausstieg aus der Kohlesubvention bis zur Einführung von Studiengebühren sehr pragmatisch und reformorientiert handelt. Von daher mische ich mich jedenfalls nicht in seine parteitaktischen Überlegungen zu einem sozialeren Profil der Union ein.

 

WirtschaftsWoche: Aber ist es nicht paradox, wenn Sie der Union programmatische Unklarheit vorwerfen – gleichzeitig aber den Mann loben, der in der Union vor einer zu starken Wirtschaftsfreundlichkeit warnt?

 

Westerwelle: Solange die schwarz-gelbe Regierung in NRW eine klare marktwirtschaftliche Politik betreibt, werden wir der Regierung und ihrem Ministerpräsidenten Beifall geben. Außerdem sehen wir, dass in den schwarz-gelb regierten Ländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg keine Politik der „kleinen Schritte“, sondern klare Reformpolitik betrieben wird. Diese reformorientierte CDU sehen wir als Partner, aber nicht eine CDU, die als eine Art zweite sozialdemokratische Partei im Bund Politik betreibt. Denn diese CDU betreibt die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik, konsolidiert den Haushalt nur über die Einnahme- nicht aber über die Ausgaben-Seite, betreibt Flickschusterei bei der Reform der Sozialsysteme und hat mit dem Anti-Diskriminierungsgesetz mehr Bürokratie geschaffen.

 

WirtschaftsWoche: Diese Leistung der Ministerpräsidenten hat sich aber in deren Ergebnissen auf dem CDU-Parteitag nicht niedergeschlagen.

 

Westerwelle: Ich hoffe nicht, dass das für Angela Merkel ein Pyrrhussieg gewesen ist. Sie hat selbst gut abgeschnitten, während die Ministerpräsidenten von Koch über Rüttgers bis Wulff abgestraft wurden. Diese drei werden diese Niederlage nicht so schnell abstreifen. Und da man sich in der Politik wie im normalen Leben mehrmals sieht, ist noch lange nicht ausgemacht, wer der Held und wer die Heldin ist in dem Stück, das da vor wenigen Tagen aufgeführt wurde. Mir ist es nicht nachvollziehbar, wie man Ministerpräsidenten wie Wulff und Rüttgers, die jeder für sich gemeinsam mit der FDP Jahrzehnte von rot-grüner Erbschaft beseitigt und einen Neuanfang machen, durch einen Parteitag so demütigen kann. Gibt es denn bei der SPD inzwischen für die FDP nicht mehr zu holen? Der SPD-Vorsitzende Beck ist kein Bürgerschreck mehr.

 

Es ist doch eine verrückte Welt, dass Herr Beck seine Partei in Richtung Marktwirtschaft bewegen will und dies parallel zum CDU-Parteitag auf einem Wirtschaftskongress deutlich macht – und bei der Union werden diffuse Signale abgegeben.

 

WirtschaftsWoche: Werden dadurch bei Ihnen und der FDP Feinbilder aus der Ära Schröder abgebaut?

 

Westerwelle: Wir werden die Koalitionsfrage beantworten, wenn sie ansteht. Hätte man mir vor einem Jahr gesagt, die Union beschließt sogar noch dieses absurde Anti-Diskriminierungsgesetz, hätte ich dies immer für eine Verleumdung gehalten. Und ob es Herrn Beck gelingt, seine Partei in die politische Mitte zu führen, ist noch lange nicht geklärt. Allerdings will ich nicht verschweigen, dass der persönliche Umgang mit den Kollegen Beck oder Peter Struck weit besser ist, als es unter Altkanzler Schröder jemals möglich war.

 

WirtschaftsWoche: Sieht sich die FDP als Auffangbecken enttäuschter Unions-Anhänger?

 

Westerwelle: Wir müssen es sein. Wir bieten all jenen eine Heimat aus der Union, die ein klares bürgerliches und marktwirtschaftliches Profil ihrer Partei vermissen. Wir wissen von Unions-Anhängern, die teilweise als Neumitglieder zu uns kommen, dass sie dies als Seelenverkauf empfinden. Aber ebenso profitieren wir von enttäuschten SPD-Anhängern, denen klar wird, dass man mit bloßer Umverteilungspolitik – man denke an das Gesundheitschaos – weder Wohlstand noch Arbeitsplätze schafft und dass Angstschüren anstelle von Antwortenliefern für Parteien gefährlich ist.

 

WirtschaftsWoche: Was meinen Sie damit?

 

Westerwelle: Ein Schwerpunkt unseres Programms für das nächste Jahr bezieht sich auf die Anti-Globalisierungshysterie – Stichwort „Heuschrecken“ – und die „Unterschichten“-Debatte. Dieses Land lebt von der Mittelschicht, vom Mittelstand, von denjenigen, die morgens aufstehen, arbeiten und das erwirtschaften, was anschließend die Politik gerne umverteilt. Dass die Politik es zulässt, dass die Mittelschicht systematisch ausgequetscht wird, halte ich für viel größeren gesellschaftpolitischen Sprengstoff als die unbestrittene Notwendigkeit, die sogenannten „Unterschichten“ und Missbräuche in der Wirtschaft zu thematisieren.

 

WirtschaftsWoche: Aber genau das versuchen doch Leute wie Rüttgers – die Sorgen der Menschen vor Wohlstandsverlust aufzugreifen...

 

Westerwelle: ...und genau dort hat die FDP die größten Zuwächse. Vor einem Jahr haben uns mehr als 4,6 Millionen Menschen gewählt. Und zwei Drittel der berufstätigen Wähler waren Arbeiter und Angestellte. Acht Prozent der Arbeitslosen haben uns gewählt – weil wir die Sorgen der Mittelschicht aufnehmen.In der Bevölkerung wird weniger auf die besten sozialen Absichten als auf eine Politik der besten sozialen Ergebnisse wert gelegt. Eine gute Wirtschaftspolitik ist die Basis jeder sozialen Gerechtigkeit.

 

WirtschaftsWoche: Aber wie geht man mit den Ängsten vor der Globalisierung um?

 

Westerwelle: Indem wir ehrlich darüber reden, dass die Globalisierung kommt und auch nicht dadurch zu verhindern wäre, dass sich ganz Deutschland auf den Kopf stellt und wütend mit den Ohren wackelt. Weil es eben in China und Indien als Chance begriffen wird, aus einem Dritte-Welt-Land in die erste Liga aufzusteigen. Und die Deutschen spüren sehr genau, dass niemand in der Welt auf unser Land wartet. Im Gegenteil: Die Konkurrenz freut sich darüber, dass wir aus unseren Qualitäten und Standortvorteilen zu wenig machen und mit der von Frau Merkel beschriebenen Politik der kleinen Schritte nicht schnell genug vorankommen. In der Globalisierung bedeutet Politik der kleinen Schritte nichts anderes als Rückschritt – weil der Rest der Welt in Siebenmeilenstiefeln marschiert. Wenn wir uns schon bei einem Wachstum von 2,5 Prozent selbst feiern, während Wettbewerber mit vier bis fünf Prozent wachsen, sehen wir nicht, dass der Abstand nicht kleiner, sondern größer wird.

 

WirtschaftsWoche: Nun sagt Frau Merkel, dass kleine Schritte den Menschen mehr Sicherheit geben.

 

Westerwelle: Wer sich derzeit schon vor dem Wettbewerb mit Polen, Tschechien und Ungarn fürchtet und Schutzwälle aufbaut, dem kann ich nur zurufen, das ist alles erst die Ouvertüre. China und Indien werden nicht nur billige Wettbewerber sein, sie werden auch bei der Qualität aufholen.

 

WirtschaftsWoche: Aber kämpfen die asiatischen Staaten nicht mit unfairen Methoden und müssen wir nicht einen Gegenblock gründen?

 

Westerwelle: Ich verstehe nicht, warum wir China, das den Weltraum erobern will, noch Hunderte von Millionen an Entwicklungshilfe geben. Aber Abschottung wäre ein Fehler. Die deutsche Politik hat Züge von Dekadenz. Anstrengungsloses Einkommen den Menschen und anstrengungslosen Wohlstand der Nation vorzugaukeln war schon der Grund für den Untergang des römischen Reiches. Wenn in Berlin der Slogan des Regierenden Bürgermeisters „arm, aber sexy“ honoriert wird, ist das an Dekadenz nicht zu überbieten. Ähnlich verheerend ist es, den Menschen vorzutäuschen, dass eine „Politik der kleinen Schritte“ ausreicht, während andere Länder mit immer größeren Schritten an uns vorbeiziehen. Dass wir laufend Technologien bei uns abwicklen – von der Gen- bis zur Kerntechnik –, trägt ebenfalls dekadente Züge.

 

WirtschaftsWoche: Klingt das nicht zu miesepetrig?

 

Westerwelle: Ich bin ein deutscher Patriot, und ich sage, was unbequem ist. Ich würde lieber aus der Politik ausscheiden, als das, was als richtig erkannt ist, zu verraten – auch wenn andere gerne eine Party auf der Titanic feiern, diese Party störe ich gerne. Mir geht es um den Erfolg Deutschlands.