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Stand: 26. Juli 2003, 21:00 / 16+14.+12.06.03

Die Person und der Staat
(eine hintersinnige Geschichte zur Antropologie moderner und globaler Statogenese)

Vorab: Obrigkeitsstaatler seid ohne Sorge: Das Liberale Tagebuch ist absolut staatstreu; Staat ist nämlich unverzichtbar. Nur: Was ist das für ein Staat, der so unverzichtbar ist?

(A)

Früher passierte einmal Folgendes: Es gab in einer Gegend dieser Welt wenig Wasser. Die Personen wollten, dass Wasser unter allen, geordnet, transparent u. nachvollziehbar geteilt werde. Eine Person wurde ausgeguckt, die Verteilung “im Auftrag aller” durchzuführen; diese Person erhielt den Titel “Verwalter”; nur ab und zu wurden Versammlungen abgehalten, um das Nötige zur Wasserfrage zu vereinbaren. Obwohl alle etwas abgaben, damit der Verwalter sich und seine Familie ernähren konnte, hatten alle Vorteile: Sie mussten sich “um das Wasser” nicht selber kümmern und verloren keine Zeit damit, Kämpfe um das wertvolle Nass auszutragen. Alle waren mit dem Staat, den sie gegründet hatten, daher sehr zufrieden - alle hatten eben persönlichen Nutzen von ihrem Staat. Merke: Erst waren die Personen da, danach “kam” der Staat - nicht umgekehrt. Einige Philosophen meinten, sich nicht zu streiten, sei ethisch geboten; deswegen sei der Staat entstanden; andere Philosophen stellten fest, dass sich stets gleich- sprachige Personen zu Staaten zusammenschlossen; und einige meinten sogar, solch Staat sei systematisch geboten. Aber all diese Philosophie scherte die Personen nicht weiter, war ihr Staat doch ausgesprochen nützlich; nur deswegen waren sie bereit, sich an ihrem Staat zu beteiligen. Alle Personen sahen ein, dass ihr Staat, also seine konstitutiven Vereinbarungen, zu schützen und zu pflegen seien. Da dennoch einzelne Personen immer wieder Wasser klauten, wurde verabredet, dem Wasserverwalter eine Waffe zu geben; der Wasserverwal- ter erhielt damit den Auftrag, Verbrecher im Dienste des gemeinen Wohles in Schach zu halten, in äußerster Not sogar zu erschießen; diese Drohung würde andere wegen der naheliegenden Todesgefahr, davon abhalten, Wasser unbefugt abzuzweigen. Nur die Versammlung aller sollte über jegliches Abzweigen von Wasser befinden. Noch immer waren alle mit ihrem Staat sehr zufrieden.

(B)

Im Laufe der Zeit merkte der Wasserverwalter, dass Wasser bei bestimmtem Sonnenstand reichlicher vorhander war; er behielt das Wissen zunächst für sich, ging aber später dazu über, befreundeten Personen seine Entdeckung zu offen- baren. Das Leben ging seinen gewohnten Gang. Eines Tages wurde auf einer Versammlung aller Personen verabredet, künftig die Wasserquote bezogen auf das Kalenderjahr zu berechnen, da die tägliche Abrechnung zu aufwändig, also unökonomisch sei; insbesondere die Konservativen machten sich hierfür stark, da “Unökonomie” eindeutig gegen Gott und die Welt verstoße. Im kleineren Kreis wurde indes verabredet, Wasser im Sommer “anders”, selbstverständlich strikt nach Recht und Ordnung, etwa im Rahmen der Jahresquote zu verteilen; im Ge- genzug sicherten jene, die in den Genuss von reichlich Sommerwasser kamen, dem Wasserverwalter die Wiederwahl zu - der Posten war, da bequem und auch ansonsten vorteilhaft, inzwischen begehrt. Später kam der Wasserverwalter auf die Idee, Wasser diskret abzuzweigen und auf Reserve zu legen; zwar hatte die Versammlung den Wasserabzweig nicht gebilligt, aber ein Philosoph hatte für den Fall der Fälle ein panzerschranklagerndes Gutachten erstellt, demzufolge Wasserabzweig auf Reserve entgegen dem Willen der Versammlung rechtsstaat- lich geboten sei. Diese Reserve verteilte der Wasserwalter nämlich an Personen mit vorbildlichem Verhalten ... Versammlungen dauerten nun etwas länger ... Im Laufe der Jahre wurde nun festgestellt, dass “Kinder-Haben”, an Arbeit hindere, dieses Verhalten aber ebenfalls vorbildlich sei ... Schon seit eh und je waren alle Personen bereit, jenen zu helfen, die weniger Leistung erbringen konnten. Ganz schlaue Philosophen führten dies auf das - bisher völlig unbekannte - Gebot solidarischer Gerechtigkeit (s. z.B. Wolfgang Clement, “bahnbrechend”, am 26.4.2000) zurück. Deswegen wurde Hilfe nach und nach sozialisiert; Hilfen wurden nunmehr also unter Ausschluss der Öffentlichkeit vergeben und bezogen. Die Leistungsstarken meckerten nicht, hatten sie doch eine lästige Pflicht sehr sozial entsorgt. Einige, die gar nicht ganz so schwach waren, kamen auf die Idee “Schwäche” vorzutäuschen. Eines Tages, als die Hilfe-Mittel - überraschend, unerklärlich, entgegen jeglicher Expertenprognose - vorübergehend knapp waren, wurde auf einer Versammlung aller Personen befunden, dass die Leistungsstär- keren “mehr” zahlen sollten. Zwar meckerten die Leistungsstarken nun doch unüberhörbar, sahen von einem Boykott aber ab, denn sie wussten, dass der Verwalter bewaffnet war und kein Zweifel bestand, dass im Falle unbotmäßigen Verhaltens, die Verwalterwaffe gnadenlos zum Einsatz kommen würde. Die Leistungsstärken arbeiteten - erschrocken? - inzwischen weniger. Alle Schwa- chen (echte, simulierende) bekamen weiter sozialgerechte Hilfe. Da nun Hilfe nachvollziehbar bequem war, redeten sich weitere Personen persönliche Schwä- che solange ein, bis sie selber daran glaubten. Um die viele Arbeit zu bewältigen, gab es keine andere Wahl als dem Verwalter einen Unterverwalter zuzuordnen; das Nahrungsmittelangebot fiel etwas, weil diese eine Person, zum Unterverwal- ter befördert, nicht mehr in der Produktion tätig sein konnte. Besonders ärgerlich aber war, dass alle etwas mehr an den Staat abführen mussten. Da der neue Unterverwalter nicht immer ganz ausgelastet war, also Zeit übrig hatte, überlegte er, gemeinsamen mit betroffenen Personen, ob weitere Schwächen Anspruch auf Hilfe begründen konnten, weitere Leistungsschwache also zusätzlich zu fördern seien. Als die Personen merkten, dass sie selber die Mittel für diese modernen Förderprogramme aufbringen mussten, war es zu spät: Förderung Einzelner war im Zuge der gesellschaftlichen Debatte ein Muss geworden. Der sozialgerechte Gegenfinanzierungsbeschluss war rechtsstaatlich nicht mehr zu verhindern. Zu allem Überfluss war trotz aller Mühen die Nachfrage nach Solidarität im Grunde genommen nicht mehr zu befriedigen. Auf der Strecke blieben nicht nur die Schwächsten der Schwachen, sondern auch alle freiheitsliebenden Personen: Freiheit durch Staatlichkeit war zu Unmündigkeit durch Staatlichkeit mu- tiert ... Von gelegentlichen kleineren Gehaltskürzungen abgesehen, lebten die Verwalter allerdings stets exquisit ... niemand wollte Besitzstände verlieren ... auf vielen Kongressen wurde getanzt ... aber Angst regierte die Welt ...

(C)

... Es kam das Jahr 2003 ... von 83.000.000 arbeiteten nur noch 38.000.000 ... es wurde eng ... die Verwalter wussten aus Erfahrung, dass die Zeit fortschreitet, also das Jahr 2010 unweigerlich kommen musste. Es wurde im Hinblick darauf eine Agenda beschlossen. Ein unsägliches Dokument . Warum das Jahr 2010 gewählt wurde, wusste niemand. Ob die Maßnahmen etwa 2005 noch ausreichen würden? Auch das wusste niemand. Durchblick war längst ein Fremdwort geworden. Nicht einmal der Verwalter hatte von der Sozialwissenschaftlichen
Unbestimmtheit gehört. Die Waffe in seiner Hand wissend, zog es der Verwalter vor, zu regeln, zu regeln, zu regeln ... Niemand merkte, dass eine Regelung die andere zwanghaft nach sich zog. Soll nun bis zum Jüngsten Gericht weiter gere- gelt werden? Niemand weiß das. Aber eines spüren die Schwächsten, wie ge- schrieben, immer stärker: Sie geraten ins Hintertreffen ... Die Anzahl der Simu- lanten und derjenigen, die sich Schwäche einreden, inzwischen die zahlenmäßig stärkste Personengruppe, wächst noch immer. Der Verwalter versteht die Welt nicht mehr: Er soll für das Verhalten anderer, freier, Personen verantwortlich sein? Da der Verwalter den allmählich zunehmenden Mißkredit nicht auf sich sitzen lassen will, versucht er mit Hilfe von Ankündigungen und politisch-media- lem Getöse über die Runden zu kommen ... das “Problem” wird so, ungelöst, in Medienmüll versteckt. Wie lange funktioniert das noch?

(D)

Staat, heute ein völlig hypertrophes Gebilde. Unbeliebt. Unbeweglich. Moloch. Teuer. Anonym. Intransparent. Zu viele Aufgaben. Bisweilen korrupt geführt. Angefangen hatte es damit, dass der Verwalter ohne Rechenschaft für sein Tun abzulegen, amtliches Wissen seinen Freunden gezielt offenbarte. Die Frage der besonderen Beziehungen zum Verwalter war von den unerfahrenen Personen nie auf der Vollversammlung thematisiert worden. Als die Konservativen ihre Masche der Unökonomie, wie üblich ohne nachvollziehbare Begründung durchsetzten, konnte sogar die Gesetzgebung im Hinblick auf spätere “private”, sehr günstige Verabredungen zwischen Verwalter und ausgewählten Personen “modernisiert” werden (Jahresabrechnung). Zur gleichen Zeit hielt der Oberverwalter viele Reden zum Thema “Recht und Ordnung” ... Die letzte, geistreich-intelligente Erfindung des Verwalters waren die Fördertöpfe für schwache Personen. Wir lernen:

  1. Hat Staat zu viele Funktionen, wird Staat intransparent. Korruption wird verstärkt. Freiheit durch Staat wird zu Unfreiheit durch Staat.
  2. Kein Verwalter kann Ungleichheit zwischen den Menschen beseitigen. Schlaue und Findige werden immer im Vorteil sein; Vorteil soll aber Lohn der Tüchtigen sein.
  3. Staat ist das soziale Betriebssystem der Gesellschaft und wirkt ähnlich wie etwa Windows 98 im PC. Der Verwalter ist nicht der Staat (das Be- triebssystem); er nutzt jedoch diese hilfreiche Einrichtung. Der Verwalter, zu striktester Neutralität verpflichtet, führt zu Beweiszwecken ein Log- buch, in dem sämtliche Kontakte mit Personen penibel dokumentiert sind (u.a. Anträge, Bescheide, Anklagen, Urteile, Angebote, Aufträge, Aus- kunftsbegehren, Gesprächsnotizen, usw...). Es gibt kein anderes Mittel gegen die systematische Korruption unserer Tage. Außer Frage steht, dass die Verwaltung ihrerseits zu verwalten ist (Art. 23ff GG); eigentlich sollten dies die Verwalter eigenverantwortlich erledigen; da es aber “beim Staat” schon mal zugeht, wie bei “Sofas unter dem Hempel”, worüber die Personen, angesichts hoher Kosten solchen Treibens, nur “not amused” sein können, ist der Verwalter-Verwalter gehalten sich auch diesbezüglich öffentlich zu geben. Dies wird zum Teil in den Parlamenten erledigt; einen weiteren Teil von Öffentlichkeit besorgt die Medienmeute, die unser aller Pressefreiheit leider auch dazu nutzt, sich mit dem Verwalter zu verfilzen. Scheißspiel. Wenn Sie Ihre Angestellten nicht laufend kontrollieren, ma- chen die was sie wollen; also nix Ballermann: Die Personen müssen die Sache doch in Hand nehmen; deswegen gibt es u.a. die politischen Par- teien nach Art. 21 GG.
  4. Der Verwalter sorgt für die Einführung und Pflege von Standards aller Art: Etwa BGB, Währung, Verkehrsregeln, (private!) Fördervereine, u.ä.m.
  5. Der Verwalter überwacht interpersonell wirksames Verhalten, das Grenzen und Regeln unterliegt. Außerdem ist unzulässig, sich durch Sorglosigkeit in die Gefahr des Untergehens zu begeben.
  6. Die Errichtung und Instandhaltung von Infrastruktur veranlasst der Verwalter.
  7. Der Verwalter bekommt ein Budget, um nach dem Subjektprinzip jene Menschen zu unterstützen, denen akut Untergang droht oder die Ausbil- dung ihrer Kinder nicht gewährleisten können.
  8. Um “nutzlose” Störungen zu vermeiden und um das gewünschte Resultat der Arbeit des Verwalters hinreichend sicherzustellen, erhält der Verwalter das Monopol für Zwangsmittel, die allerdings nur unter Befolgung stren- ger Regeln eingesetzt werden dürfen.
  9. Der Verwalter hat schließlich die Aufgabe die äußeren Beziehungen und die äußere Sichherheit für alle Personen wahrzunehmen.

(E)

Frage fast am Ende: Haben wir zu viel Staat oder haben wir zu wenig Staat?

(F)

Die Verwalter schaffen es, gestützt auf das unverzichtbare und legitime Monopol für Zwangsmittel, die Nicht-Verwalter der Gesellschaft machtpolitisch zu margina- lisieren. Unter diesen Bedingungen sind die Verwalter in der Lage, immer wieder zusätzliche Kompetenzen (Funktionen, Aufgaben) dem Staat zu übertragen, d.h., “an sich zu ziehen”. Auch wenn dies bisweilen durchaus in guter Absicht ge- schieht, endet solches Tun aber damit, dass die Verwalter sich unangenehmer- weise in das private Leben der Personen hereinhängen und zu allem Überfluss den Überblick über die Wirkungen ihres Handelns verlieren. Nicht nur systemati-
sche Korruption
greift wie o.a. um sich; da eine Prognose über das Verhal-
ten von Menschen und Gesellschaft prinzipiell nicht möglich ist
treffen Ver- walter im Hinblick auf die künftige Wirkung und Entwicklung vielfach Fehlent- scheidungen. Schon insofern schädigt Verwalterhandeln. Da Verwalter unter dem Schutz des Monopoles für Zwangsmittel (etwa hoheitliches Handeln) nicht konse- quent zur Rechenschaft gezogen werden (können, dürfen), steigt außerdem das Revolutionsrisiko. Dem allen kann entgegengewirkt werden wenn wir einsehen:

Wir haben zu viel Staat. Entstaatlichung ist eine Daueraufgabe, eine Tätigkeit, der transzendent, auf jeden Fall präventiv nachzugehen ist. So ist Liberalismus seit der Aufklärung entstanden. So sind Funktion und Aufgabe der Liberalen noch heute definiert. Werden
Prozent Wähleranteil genügen um die erforderlichen Resultate zu produzieren? Liberale als unverbesserliche Optimisten: Es wäre echt langweilig, wenn wir das schon heute wüssten. 

Gesellschaft
Staat & Politiker

   Bessere Politiker, Fehlanzeige. Über die Gewohnheit vom Staat der handelt zu sprechen.

 

 

 

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